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Veit-Peter Walther: In der S4

Von Anfang an war mir klar, dass diese Geschichte niemand, wirklich niemand glauben wird. Dafür hab ich sogar volles Verständnis. Auch für den müden Polizisten, der das Protokoll aufnahm und dabei von Irreführung der Polizei und Konsequenzen brummelte.

Was war passiert? Da stehe ich also im Abschnitt A, Haltestelle Donnersberger Brücke. Ganz, ganz hinten. Warte auf die S4. Denke nichts, absolut gar nichts. Die Lautsprecherdurchsage ist wie immer unverständliches Gemurmel. Die S-Bahn fährt ein, rollt an mir vorbei, wird langsamer. Durch die Fenster sehe ich Menschenmassen. Das übliche Gedränge. Der letzte Wagen hält genau mit der letzten Türe vor mir. Völlig leer! Ich wundere mich. Drücke den Knopf, die Tür geht auf. Ich steige ein, gehe in die Mitte, setze mich, die Tür schließt, die S-Bahn ruckelt an, gewinnt an Fahrt.

Diesmal ist die Anzeige klar und deutlich. „Verehrte Fahrgäste, tönt es aus dem Lautsprecher, bitte bewahren sie Ruhe, im letzten Zugteil befindet sich ein Gorilla. Es besteht keine Gefahr, dieser Zugteil ist leer und wird in Pasing abgehängt.“

Toll! Leer bis auf einen Gorilla und mich, denke ich.

Im gleichen Moment höre, rieche und sehe ich ihn. Genau hinter meiner Trennwand. Tatsächlich ein echter, ein lebendiger, ein riesiger Gorilla! Er blättert in einem ALDI-Prospekt. Jetzt schaut er mich an. Ich schau ihn an. Er kommt auf mich zu. Ich schrumpfe. Er grinst. Na ja, wie so ein Gorillagrinsen halt aussieht. Aus einer Plastiktüte kramt er ein Handy raus! Stocksteif bin ich, tiefgefroren, irgendwie scheintot, total weggetreten. Er setzt sich neben mich, legt mir seine Gorillapranke um die Schultern, hoffentlich kein Weibchen, denke ich, da fährt er eine Selfiestange samt Handy aus und macht ein Foto.

Der Gorilla grunzt, steckt Handy und Stick zurück in die Tüte, geht zur linken Tür, zieht den Nothalt. Die S4 kommt quietschend und qualmend zum Stehen. Irgendwo zwischen Laim und Pasing. Der Gorilla reißt die Tür auf, winkt mir zu und springt in die Dunkelheit.

 

März 2016

 
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