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Damaris Meyer: Ich mag SieDie dunklen Lackschuhe drücken wie damals. Der schwarze Anzug ist neu. Schließlich will ich für
Anna schön sein. Ich straffe die Schultern, schaue auf mein weißes Hemd, rücke die rote Krawatte
zurecht und hole das gebügelte Stofftaschentuch mit den eingestickten Initialen "A L" hervor. Damit
fahre ich über Stirn und Schläfen, wie Anna es sonst tut. "Drei Monate ist es her. Da sah ich Anna das erste Mal. Es war am sechzehnten Mai in einem
kleinen Café in der Stadt. "Lovely" heißt es. Wie sie da saß, in ihrem blauen Kostüm, die Beine
übereinandergeschlagen - eine richtige Lady. Sie las in einem Buch, nippte an ihrem Kaffee.
Plötzlich schaute sie auf und lächelte. Ich glaube, das war der Augenblick, in dem ich mich in sie
verliebte. Aus einem Netz von Fältchen blitzten blaue Augen. Auch ihre Lippen waren von
Lachfalten umgeben. Dabei wirkte ihre Haut samtweich, besonders am langen Hals und am
Dekolleté mit dieser Einkerbung zwischen den Schlüsselbeinen. Das Haar, von dem ich nicht sagen
kann, ob es weiß oder blond war, fiel weich auf schmale Schultern. 'Einst verliebte sich ein Kupferkessel in eine schöne Kristallvase. Er gewann ihr Herz, legte
behutsam seinen Henkel um ihren schlanken Hals und sie zogen los in die weite Welt. Doch bei
jedem Schritt schwang der harte Kessel gegen die zarte Vase und nach kurzer Zeit zersprang sie in
seiner Umarmung. Da stand der Kupferkessel und starrte weinend auf die Scherben. 'Traurig schön', seufzte Anna. Sie wendete sich lächelnd ab und griff nach ihrem Buch. "Café Lovely lädt zum Tanztee. Freitag ab 17 Uhr. Wir freuen uns auf Sie!" Freitag sahen wir uns wieder und den Freitag danach. Es fühlte sich so gut an, dass wir uns bald täglich sahen. Anna behauptete, das läge einzig an meinen braunen Augen, die würden sie ganz verrückt machen. Nach drei Wochen zog Anna bei mir ein. 'Herbert, man weiß nie, wie's kommt', sprach sie, 'wir sind nicht mehr die Jüngsten.' Niemals habe ich eine Frau so geliebt wie Anna. Sie ist für mich die Schönste der Welt. Ich mag alles an ihr, selbst ihren Ordnungsfimmel, ihre Rechthaberei und wie sie schimpfte, wenn es mal nicht nach ihrem Kopf ging. Ich mag ihre Verrücktheit, ihr Lachen und Weinen, ihr Hicksen bei jedem Glas Sekt und ihr Gickern, wenn ich sie im Nacken kitzelte und ... Auch das mit dem Handy war ihre Idee: 'Herbert, Du brauchst ein Handy!'
'Warum? Ich hab Telefon.' Meine Schuhe drücken. Langsam bücke ich mich, spüre jedes Lebensjahr in meinen Knochen, ergreife die graue Plastiktüte mit dem Aufdruck: "Café Lovely". Meine Kniegelenke krachen schmerzhaft beim Aufrichten. Ich schlurfe nach vorn, zu Anna. Behutsam fasse ich in die Tüte, hole eine Handvoll Kristallscherben hervor und streue sie über ihren Sarg aus Eichenholz. Mai 2013 | |
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