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Walter Grassl: Was dämmert Göttern?

Am Anfang der Zeit, als in der indischen Götterwelt die Zuständigkeiten vergeben wurden, stellte sich schließlich heraus, dass ein Sohn Shivas übrig geblieben war. Andere hatten sich vorgedrängelt und zum Teil ruhmreiche Ministerien bekommen, wie Indra, der Gott von Himmel, Sturm und Regen, Kali, die Göttin von Zerstörung und Tod, oder Ganesha, der Gott der Hindernisse. Ganesha hat seine Macht längst bis zu uns ausgedehnt. Wenn er einen guten Tag hat, verfügt er ab und zu, dass auf Autobahnen monatelang Baustellen stehen, ohne, dass dort jemand arbeitet. Götter in ihrer (zumindest gefühlten) Allmacht machen ja manchmal Sachen, die der Mensch in seiner beschränkten Einsicht nicht verstehen kann.

Wie auch immer, der zunächst zu kurz gekommene Sohn Shivas hatte sich im Hintergrund gehalten und abgewartet, was passieren würde. Diese Haltung entsprach seiner Mentalität, denn impulsives Verhalten oder gar eine Andeutung von Leidenschaft lag ihm fern. Shiva überlegte lange, wofür sich dieser Sprössling am besten eignen würde und übertrug ihm schließlich die Zuständigkeit für den Sachzwang. Das klingt im Vergleich mit den deutlich eindrucksvolleren Zuständigkeiten von Indra, Kali oder Ganesha nicht besonders beeindruckend, entsprach aber den Neigungen seines Sohnes. Und weil der Sohn Pragma hieß, setzte sich für seine religiöse Strömung die Bezeichnung „Pragmatismus“ durch.

Pragma nahm das Amt mit der von ihm gewohnten Sachlichkeit an. Von Anfang an verzichtete er auf jede Form von Missionierung. Er war überzeugt, dass sein Beispiel und das seiner Anhänger vollständig ausreichen würden, um seinen Glauben weiter zu tragen in die Welt. Er sollte recht behalten. Er wurde mächtiger als Indra, Kali oder Ganesha, ja, sogar mächtiger als der bayrische Ministerpräsident.

Sein Glaube gewann nicht nur bei allen Völkern, sondern auch quer durch alle Schichten der Gesellschaft immer mehr Anhänger, sogar bei den Eliten des inhaltsreich klingenden Wortes. Wer könnte einem so überzeugenden Mantra wie „jetzt schauen wir mal, dann seh´n wir schon“ widersprechen?

Gerade im bayrischen Sprachraum ist Pragma zur mächtigsten Gottheit geworden. Das zeigt sich an den von der lokalen Bevölkerung dieses „Vorhofs des Paradieses“ häufig sogar im Alltag gesprochenen Mantren wie „es is hoit wia´s is“, „des war no nia anders“, „im Garten nur Kännchen“, „mit so was fang ma gar net o“ oder „ja, sog amoi, des is doch oiwei ganga?“

Und auch in der jeden Tag moderneren Welt der „IT“, also der „Computer-Welt“ mit allen ihren Ausprägungen – oder sollen wir sagen „Blähungen“? – ist der Pragmatismus der alles beherrschende Glaube. Deshalb wird hier bei Schulungen auf die Frage, warum das so umständlich sein muss, sehr häufig das Mantra gesprochen: „das is´ so“.

Ob Göttervater Shiva mit der Vergabe des Ressorts an Pragma glücklich ist, wissen wir nicht. Es ist aber möglich, dass inzwischen auch Shiva ab und zu das urbayrische Mantra seufzt, das die Geisteshaltung des Bayern charakterisiert wie kein anderes. Dieses Mantra lautet: „ ja, mei ...“

 

Februar 2018

 
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